Extremismusforscher Mansour: "Verrat an Juden weltweit"

    Interview

    Extremismusforscher Mansour:"Verrat an Juden weltweit"

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    Extremismusforscher Mansour spricht im Interview über die anti-israelischen Proteste weltweit, und darüber, was Kritik von Hass und Antisemitismus unterscheidet.

    Ahmad Mansour
    Extremismusforscher Ahmad Mansour ist an diesem Donnerstag auch Gast bei "maybrit illner".
    Quelle: picture alliance / Geisler-Fotopress

    ZDF: Wie schauen Sie auf die anti-israelischen Demonstrationen an deutschen Universitäten und die Proteste gegen die israelische Teilnehmerin am ESC?
    Ahmad Mansour: Als Israeli finde ich diese Regierung in Israel eine Katastrophe für das eigene Volk. Ich finde sie sehr gefährlich, auch für die Zukunft Israels, und diese Regierung macht auch Fehler in der Kriegsführung in Gaza.

    Auf die Straße zu gehen für die Menschen in Gaza, die israelische Politik zu kritisieren, hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Das muss immer wieder klar betont werden. 

    ... ist ein israelisch-deutscher Psychologe und Autor arabisch-palästinensischer Herkunft. Der Experte für Extremismusbekämpfung lebt seit 2004 in Berlin.

    Wenn ich aber auf die Metaebene schaue, dann muss ich in aller Deutlichkeit sagen, und ich übertreibe nicht, aber es findet gerade ein Verrat an den Juden weltweit statt. Das hat mit Israel-Kritik nichts zu tun, wenn jüdische Studenten an der Uni nicht sicher auf den Campus gehen können, wenn sie nicht Vorlesungen besuchen können, wenn Studenten nur mit Polizeischutz aus der Uni rausgehen können.
    Wenn eine israelische Sängerin, die einfach über Trauma und Trauer singt und Tausende draußen sie ausladen wollen, die ihre Anwesenheit nicht aushalten können und sie mit Buh-Rufen stören, dann hat das mit Israel-Kritik nichts zu tun.
    Demonstrierende in Malmö wehen Palästina-Flaggen als Protest gegen die Teilnahme Israels am Eurovision Song Contest.
    Beim diesjährigen Eurovision Song Contest in Malmö ist die Teilnahme Israels aufgrund des Vorgehens im Gazastreifen höchst umstritten. Tausende protestierten gegen die Teilnahme.10.05.2024 | 1:41 min
    ZDF: Ist der Antisemitismus, den wir gerade erleben, importiert?
    Mansour: Der Antisemitismus, den wir gerade erleben, das ist alles: Das ist islamistisch importiert, das ist klassisch rechtsradikaler Antisemitismus, und das sind auch linksradikale, postkoloniale, identitätspolitische Ideologien, die leider sehr sichtbar geworden sind, vor allem an den Universitäten, die sich eigentlich auch nicht mit Gaza oder mit einer Zwei-Staaten-Lösung beschäftigen. 
    Der Postkolonialismus geht davon aus, dass Israel, der Jude, die Verkörperung der Ursünde des Westens ist, und zwar der Kolonialsünde, und Israel ist ein Kolonialprojekt, das abgeschafft werden muss.

    Es geht nicht darum, ob Israel jetzt einen gerechten Krieg führt in Gaza oder ob die Militärführung Fehler macht oder ob Unbeteiligte betroffen sind. Es geht im Kern um die Frage: Darf Israel existieren, ja oder nein. 

    Mehr zum Thema "Protest gegen Israel - Was unterscheidet Kritik von Hass?" in der Sendung "maybrit illner": an diesem Donnerstag, 16. Mai 2024, um 22:15 Uhr im ZDF. 

    Zu Gast sind der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU), der Extremismusforscher Ahmad Mansour, die Korrespondentin für internationale Sicherheit bei der "Washington Post", Souad Mekhennet, sowie der Jurist und Autor Ronen Steinke.

    Wenn man mit Juden spricht, auch hier in Deutschland, ich kenne so viele, die mir schreiben und fragen, ob sie jetzt einen Plan B machen müssen. Das ist nicht nur noch ein Konflikt, sondern es geht hier um die Zukunft dieser Menschen, und sie haben das Gefühl, im Stich gelassen zu werden von vielen, vielen anderen.
    Unsere gesamte Erinnerungskultur ist gescheitert, wenn wir es nicht schaffen, nach dem größten Pogrom an den Juden seit dem Zweiten Weltkrieg ein paar Tausend Leute auf die Straße zu bringen im Land der Täter. Dann ist hier in Deutschland etwas gewaltig schiefgegangen.
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    ZDF: Es kommt ja jetzt von rechts wie von links der Vorwurf, man könne nicht mehr alles sagen. Wie sehen Sie das?
    Mansour: Bei meiner Arbeit in den Schulen, aber auch mit Leuten, die eine gewisse radikale Ideologie entwickelt haben, merke ich, dass diese Opferrolle sehr, sehr oft kommt. Ich habe Workshops gehabt, bei denen der Islamist von zionistischen Medien gesprochen hat und der Rechtradikale von Lügenpresse.
    Das heißt, diese Narrative sind sehr, sehr nah, und die Opferrolle ist immer ein fundamentales Zeichen dieser Ideologie, egal ob Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus, weil sie einfach einen gewissen Schutz vor Kritik von außen anbietet.
    Wenn ich "From the River to the Sea - Palestine will be free" rufe, dann geht es mir nicht um eine Zwei-Staaten-Lösung. Israel kann nicht existieren, wenn vom Fluss bis zum Meer nur Palästina existieren darf. Wenn ich ein Kalifat ausrufe und dann auf Meinungsfreiheit poche und sage, ich werde mit Repressionen bedroht, obwohl ich nur meine Meinung sage.
    Dann muss klar werden, dass auch ein Rechtsstaat, eine Demokratie, das Recht hat, die Grenzen und die Zähne zu zeigen und zu sagen, was in dieser Gesellschaft nicht mehr geht und nicht mehr gedeckt wird durch die Meinungsfreiheit.
    Das Interview führte Micha Wagenbach. 

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